Eine Ohrfeige kassieren, „Stärneföifi!“

Ob Raclette, Jassen, Fondue, Lindauerli, Alphorn, Schwingen, Jodeln oder auch nur „ohni Znacht is Bett“, für Brauchtum und Folklore sind die Schweizer weltbekannt.

Auch „ohni Znacht is Bett“ (zu Deutsch: ohne Abendbrot zu Bett) ist in gewissem Sinn (Deutsch-)Schweizer Brauchtum. Welches Deutschschweizer Kind kennt nicht diese elterliche Drohung, zur Strafe ohne Abendbrot ins Bett geschickt zu werden?
Hinweis: Im Kulturraum der Schweiz ist das Schlagen von Kindern aktuell nicht verboten. Die „erzieherische“ Ohrfeige ist noch immer erlaubtes Erziehungsmittel. Gesellschaftlich insbesondere in bürgerlichen Kreisen, die autoritären Erziehungsformen anhängen, und in offiziell bildungsfernen Schichten, die es (ebenfalls) nicht besser wissen, ist sie breit abgestützt.

Kinderstrafe als Schlager – willkommen in der Schweiz

Die Schweizer Mundart-Band namens „Stärneföifi“ machte das Erziehungskonzept, Kinder zur Strafe ohne Abendbrot ins Bett zu schicken, zum Schlager. Willkommen in der Schweiz: „Heicho, ohni Znacht is Bett“ („nachhause kommen, ohne Abendbrot zu Bett“), lautet ihr 1995 veröffentlichter erster Song. Aufgrund seines zufälligen Erfolgs 1994 in einer Schweizer Fernsehshow hatte er erst zur Gründung der Band geführt. Der Song dreht allerdings im Refrain härter auf als im Titel: „Heicho, eis a d’Ohre und dänn ohni Znacht is Bett“ („nachhause kommen, eine Ohrfeige kassieren und dann ohne Abendbrot ins Bett“), heisst es da. Die Band „Stärneföifi“ etablierte sich im Kinderlieder-Segment. 2018 hat sie sich aufgelöst.

Wie geht das?

Wie geht das, in einem Kinderlied Kindesmisshandlung zu besingen und damit Charts zu stürmen? Dass Kinder sich über die Verballhornung elterlicher Drohungen, sie zu ohrfeigen und ohne Abendbrot ins Bett zu schicken, amüsieren, ist ein gutes Zeichen. Ihre Unterdrückung ist nicht soweit fortgeschritten, dass sie sich nicht mehr über die Verballhornung veralteter, autoritärer Erziehungskonzepte freuen könnten und sie – zusammen mit ihren Verbündeten von „Stärneföfi“ – nicht dagegen rebellieren dürften. Trotzdem…

Trotzdem: Es sagt doch etwas aus über eine Kultur, wenn veraltete, autoritäre Erziehungskonzepte besungen werden. Das Gute daran ist, dass mit dem öffentlichen Besingen das Thema mitten in der Öffentlichkeit angekommen ist.

Der "Stärneföfi"-Kindersong "Ohni Znacht is Bett" ist musikalisch stark an "Iko Iko" von den Dixie Cups angelehnt. 2009 nahm "Stärneföfi" zusammen mit den Dixie Cups eine neue Version von "Ohni Znacht is Bett" auf. Ob der Schlager schon den Status von Schweizer Folklore hat, muss an dieser Stelle aber offen bleiben. 
In Deutschschweizer Mundart entspricht der Ausruf "Sterneföifi" einem eleganten Ausdruck von Ärgernis oder Entsetzen, vergleichbar vielleicht mit "heiliger Bimbam". Anzumerken wohl, dass Männer, die sich dieses Begriffs bedienten, in der harten Männerwelt kaum mehr ernst genommen würden (ausser allenfalls an einem "Umtrunk" der Studentenverbindung...).